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Was verstehen wir unter politischer Bildung?

Als einführende Grundlage soll dieser kompakte Artikel erläutern, was hinter dem Begriff politische Bildung steht: Was bedeutet politische Bildung? In welchem Verhältnis steht sie zur Demokratie? Was bedeutet politische Bildung als Auftrag der Kinder- und Jugendarbeit? Und wie kann ich diesem Auftrag gerecht werden? Gleichzeitig wird auch der Begriff „Demokratiebildung“ in den Blick genommen und versucht, von politischer Bildung abzugrenzen.

Politische Bildung

Was bedeuten Politik, Demokratie und politische Bildung im 16. Kinder- und Jugendbericht?

Im 16. Kinder und Jugendbericht wird Politik begriffen als „[…] jene[r] […] Bereich von Aktivitäten und Strukturen, der […] auf die Herstellung, Durchsetzung und Infragestellung allgemein verbindlicher und öffentlich relevanter Regelungen in und zwischen Gruppierungen abzielt“ (BMFSFJ, 2020, 47). Salopp gesagt ist Politik also alles, was eben dazu beiträgt, Regeln für das Zusammenleben festzulegen, sie durchzusetzen und auch wieder in Frage zu stellen. Das bedeutet, Politik findet nicht nur in zentralen politischen Institutionen statt, sondern ebenso überall, wo auch im Kleinen Aushandlungsprozesse (zwischen verschiedenen Interessen) stattfinden. Das können z.B. klassische Demonstrationen sein, onlinebasierte Aktionen oder die Neuaushandlung bestehenden Regelungen im Jugendhaus.

Zur Demokratie gehören folgende drei wesentliche Merkmale:

  • Die formalen Verfahren: sie legen fest, wie allgemeine Regelungen entwickelt und durchgesetzt (oder in Frage gestellt und ersetzt) werden, z.B. Gesetze
  • Die Kernprinzipien: z.B. Gewaltenteilung, Gleichheitsprinzip, Menschenrechte etc.
  • Der Prozesscharakter: Demokratie entwickelt sich stets weiter durch die Menschen, die aktiv an ihr teilhaben. Ihre Regelungen werden stets neu ausgehandelt.

Politische Bildung bedeutet: Durch die Auseinandersetzung mit der Umwelt sollen Personen oder auch Organisationen lernen, das demokratische System mit allen inbegriffenen Regeln und Normen zum einen herzustellen und durchzusetzen sowie in Frage zu stellen und ggf. zu verändern.

Damit das möglich ist, sollen Angebote generiert werden, in denen beispielsweise Kinder und Jugendliche soziale Regeln aushandeln und ihre Rolle in der Gesellschaft erforschen können. „Bildungsziel ist das Einüben und Aushalten kontroverser Auseinandersetzungen im Rahmen pluralistischer, demokratischer und menschenrechtsorientierten Haltungen und Werte“ (BMFSFJ, 2020, 47).

Das Verhältnis von Demokratie und politischer Bildung lässt sich als wechselseitig aufeinander bezogen beschreiben: „Offenbar ist Demokratie auf Politische Bildung angewiesen und Politische Bildung auf Demokratie“ (Friedrichs, 2020, 11). Politische Bildung braucht Demokratie, da es beispielsweise in autoritären Systemen keine Meinungsvielfalt gibt, sondern staatsbürgerliche Beleherungen und Manipulation im Sinne der Herrschenden (ebd.). Dadurch können, wie von politischer Bildung gefordert, auch keine Aushandlungen stattfinden. Somit kann nur in einer demokratischen Gesellschaft von politischer Bildung gesprochen werden. Eine Demokratie benötigt im Umkehrschluss ebenfalls politische Bildung: Als Staatsform, die gelernt und ausgehandelt werden muss, ist eine Demokratie für die Umsetzung ihrer Vorstellungen und Werteorientierungen auf darauf basierende Bildungsprozesse ihrer Mitglieder*innen angewiesen. Somit kann eine Demokratie ohne politische Bildung nicht aufrechterhalten werden.

Demokratiebildung versus oder ist gleich politische Bildung?

In den letzten Jahren kursieren immer mehr Begriffe wie Demokratiebildung, politische Bildung, Demokratielernen, Demokratieförderung usw. im Spektrum der politischen Bildung umher. Dabei ist oftmals unklar, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede in ihrem Kern bestehen. Oder ob es diese überhaupt gibt und es sich nicht eigentlich nur um Synonyme handelt? Um hier etwas Klarheit zu schaffen und einen Diskurs darüber anzuregen, sollen im Folgenden verschiedene Gedanken und Argumentationen über die Begriffsvielfalt an sich und zu den Begriffen Demokratiebildung und politische Bildung zusammengestellt werden. Es wurden diese beiden Begriffe gewählt, da sie in Literatur und Förderlogiken aktuell am häufigsten verwendet werden. Der 16. Kinder- und Jugendbericht vertritt hier eine klare und simple Haltung: Poltische Bildung ist Bestandteil von Demokratiebildung und Demokratiebildung Bestandteil von politischer Bildung (BMFSFJ, 2020, 7). Daher sieht er eine klare Trennung beider Begriffe als nicht zielführend und denkt sie im Bericht überwiegend zusammen (wobei sie teilweise auch getrennt nebeneinanderstehen). Anderer Meinung sind in diesem Kontext vor allem Benedikt Sturzenhecker und Alexander Wohnig. Sie diskutieren auf differenzierter Weise, inwieweit diese Begriffe zusammengedacht oder getrennt werden müssen: Grundlage des Diskurses ist die Entwicklung einer zunehmenden Begriffsvielfalt im Bereich der politischen Bildung, in dem oft gar nicht mehr klar ist, was „das Politische“ eigentlich ist (Journal für politische Bildung, 2019, 10). Sturzenhecker und Wohnig grenzen die Begriffe Demokratiebildung und politische Bildung wie folgt voneinander ab:

Demokratiebildung beinhaltet nach Sturzenhecker die Praxis von gelebter Demokratie (ebd., 12), wie aktive Beteiligung und Aushandlung. Kinder und Jugendliche haben in diesem Sinne ein Recht auf Mitentscheidung. Sie tragen die Entscheidungen für Angelegenheiten, die sie betreffen, mit. Demokratiebildung hat das Verständnis, positiv auf die Realisierung der Rechte der Mitentscheidung abzuzielen, nicht negativ auf die Vorbeugung von Demokratiefeindlichkeit (ebd., 14). Sprich: Kinder und Jugendliche sollen lernen, ihre Rechte einzufordern und mitzuentscheiden. Es geht nicht in erster Linie darum, vorbeugend zu verhindern, dass sie extreme Einstellungen vertreten (auch wenn dies ein positiver Nebeneffekt sein kann). Aus diesem Grund wird die extremismuspräventive Demokratieförderung eher problematisch betrachtet, da sie ein defizitorientiertes Verständnis von demokratischer Bildung sowie ihren Adressat*innen innehat. Außerdem wird die Relevanz von Demokratiebildung sowie politischer Bildung so nur in „Krisenzeiten“ wahrgenommen und nicht als notweniger Bestandteil in jeder alltäglichen Bildung.

Im Kontrast dazu versteht Wohnig politische Bildung, nicht nur Vermitteln von Wissen, sondern das Befähigen zu einer politischen Mündigkeit (ebd., 13). Mündigkeit meint hier im Kontext von Demokratie vor allem Kritikfähigkeit, also gesellschaftliche Verhältnisse kritisch in den Blick zu nehmen, zu analysieren und zu demokratisieren. Die Abgrenzung beider Bildungsformen zeigt sich darin, dass beispielsweise in Projekten der Demokratiebildung in der Partizipation oder Ähnlichem ermöglicht wird, Inhalte aber nicht zwingend in einen kritisch gesellschaftspolitischen Kontext gestellt werden. Somit werden zwar demokratische Aushandlungsprozesse gefördert und gefordert, es handelt sich dadurch aber noch nicht um politische Bildung im Sinne der Mündigkeit. Genau hier können aber beide Begriffe und ihre dahinter liegenden Bildungskonzepte zusammengedacht werden, um sich gegenseitig zu ergänzen. Demokratiebildung, die sich auf erfahrbare Demokratie stützt und politische Bildung, die diese Erfahrungen in einen gesellschaftlichen Kontext stellt und zur Kritikfähigkeit anregt. Um zu verhindern, dass sich politische Bildung oder Demokratiebildung zu inhaltslosen Containerbegriffen verwandeln, sollte der Diskus über Kern, Konzepte und Inhalte der verschiedenen Bildungsbegriffe mit ihren Differenzen und Überschneidungen verstärkt geführt werden.

Politische Bildung in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit – Ein Auftrag, der nicht neutral ist

Die Offene Kinder- und Jugendarbeit ist in ihrem Wesen von institutioneller Offenheit und Freiwilligkeit geprägt und somit weniger ein Raum für formale Bildung wie die Schule. Doch gerade diese Offenheit ermöglicht die Chance und Reichweite zur Mitsprache und Mitbestimmung. Betrachtet man politische Bildung aus zwei Perspektiven, werden die Potentiale der OKJA deutlich: Politische Bildung hat zum Ziel, Menschen zur politischen Partizipation zu befähigen (Zeuer, 2017, 42). Dies setzt zum einen Wissen, wie beispielsweise über das politische System und ihre Prozesse, voraus. Zum anderen benötigt politisches Handeln Urteils-, Kritik- und Partizipationsfähigkeit (ebd.). Die Potentiale der Offen Kinder- und Jugendarbeit liegen aufgrund ihres non-formalen Settings in der Ausbildung und Förderung von einer solchen Mündigkeit ihrer Adressat*innen durch gelebte Partizipation und Demokratie.

Wichtig ist, dass es nicht um das Vermitteln von Standpunkten oder die Legitimierung politischer Entscheidungen geht. Es bedeutet aber auch nicht, positionsfrei alle politischen Strömungen und Themen als gleichwertig darzustellen. Politische Bildung in der Offen Kinder- und Jugendarbeit muss sich klar und offen positionieren und einen Standpunkt vertreten! Beispielsweise in einer klaren Haltung gegenüber rassifizierten und menschenrechtsfeindlichen Haltungen. Denn sich politisch nicht zu positionieren ist ebenfalls eine Positionierung!

Anknüpfend an die bisherigen Erläuterungen haben wir folgende Arbeitsdefinitionen für die Praxis im Arbeitsfeld entworfen:

Demokratiebildung in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit

Unter Demokratiebildung verstehen wir die Herstellung und Durchführung demokratischen Umgangs in gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen Bezügen. Dies kann z.B. durch demokratisches Arbeiten an einem gemeinsamen Ziel oder partizipative Verfahren des Mitbestimmens geschehen.

Politische Bildung in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit

Unter Politischer Bildung verstehen wir die Auseinandersetzung mit politischen Inhalten und Prozessen zur Förderung politischer Mündigkeit. In den alltäglichen Themen der Kinder und Jugendlichen wird der politische Gehalt aufgegriffen.

Eine Orientierung, wie politische Bildung gestaltet werden kann, in der sich zwar positioniert, aber dennoch der Willensbildungsprozess der Kinder und Jugendlichen nicht zu sehr beeinflusst wird, bietet der Beutelsbacher Konsens. Inhaltlich geht es kurzgefasst darum, Kontroverses auch kontrovers zu diskutieren, Jugendliche nicht zu überwältigen und sie zu befähigen, sich selbst Urteile bilden zu können - und nicht darum, sich aufgrund von vermeintlicher Neutralität gar nicht mehr zu äußern.

Wie kann politische Bildung in der Praxis aussehen?

Als non-formaler Bildungsbereich ist die Offene Kinder- und Jugendarbeit von dem Interesse und der Freiwilligkeit ihrer Adressat*innen abhängig, sich mit politischen Themen beschäftigen zu wollen. Gleichzeitig bietet das Setting die Möglichkeit, sich Demokratie und Partizipation nicht nur formal als Wissen anzueignen, sondern selbst erleben zu können. Sie hat das Potenzial, Beteiligung und Meinungsbildung und -äußerung im Alltäglichen erfahrbar zu machen.

Praktische Ideen für politische Bildung haben wir in unseren Aktionskärtchen zusammengestellt.

Außerdem gibt es noch einen ausführlichen Artikel zum Thema Partizipation in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, in dem aufgeschlüsselt wird, welche Dimensionen hinter dem Begriff stecken und warum die Ermöglichung von Partizipationsräumen so wichtig ist. Dazu haben wir ebenfalls Aktionskärtchen erstellt, beispielsweise wie politische Themen und Partizipationsäußerungen im Alltag erkannt und aufgegriffen werden können.

Literatur

BMFSFMJ. 2020. 16. Kinder- und Jugendbericht. Förderung demokratischer Bildung im Kindes- und Jugendalter [PDF].

Friedrichs, Werner. 2020. „Demokratie ist Politische Bildung“. In Demokratie, Demokratisierung und das Demokratische. Aufgaben und Zugänge politischer Bildung, hrsg. Moritz Peter Haarmann, Steve Kenner und Dirk Lange, 9-30. Wiesbaden: Springer. [E-Book].

Journal für politische Bildung. 2019. „Begriffsvielfalt, Entgrenzung,
Aufmerksamkeitskultur“. Journal für politische Bildung Demokratieförderung vs. Politische Bildung 19(2): 10-15. [eBook].

Negt, Oskar. 2016. Der politische Mensch: Demokratie als Lebensform. Göttingen: Steidl [E-Book].

Zeuner, Christine. 2017. „Was ist/was gehört zur politischen Grundbildung“. In Politische Grundbildung, hrsg. Von Barbara Menke und Wiebke Riekmann, 34-55. Schwalbach: Wochenschau-Verlag.